Solidarität

Wenn es ein Wort gibt, das zugleich Wort des Jahres und Unwort des Jahres 2020 werden könnte, dann ist es Solidarität.

Solidarität ist das freiwillige Übernehmen von Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für Andere. Die Pandemie hat aber eine Verwendung dieses Wortes sichtbar gemacht, die sich schon lange latent in unser Gesellschaftsverständnis einnistet. Was da als Solidarität beschrieben wird, ist das Abschieben der Verantwortung für sich selbst auf Andere, gerne auch auf die ganze Gesellschaft und zwangsweise per Staatsmacht.

Bei der Kontroverse um das Impfen – nicht nur gegen Corona – wird diese Bedeutungsverschiebung am aller deutlichsten. Unsere Gesundheit ist selbstverständlich eines unserer persönlichsten Anliegen und ihre Pflege erfolgt zunächst völlig im eigenen Interesse. Zugleich sind medizinische Maßnahmen, da sie einen Eingriff in unseren Körper und damit potentiell auch in unsere Gesundheit darstellen, in höchstem Maße der persönlichen Entscheidung unterstellt. Ich muss im Krankenhaus auch noch für die kleinsten Untersuchungen einen mehrseitigen Vertrag unterschreiben, in dem ich dokumentiere, dass ich dem Eingriff zustimme. Und das ist richtig so, denn es geht um meinen Körper, um meine Gesundheit, um mein Leben, also das fundamentalste und persönlichste Anliegen, das ein Mensch haben kann. Mein Körper, der zumindest in physischer Hinsicht alles ausmacht, was ich bin, darf niemand anderem unterstellt sein, als mir selbst. Das Eigentum am eigenen Körper, das Selbsteigentum, ist der fundamentalste denkbare Eigentumsanspruch, aus dem sich alle anderen ableiten. Diesem Anspruch wird in dem verfassungsmäßigen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG) konkret entsprochen, aber implizit ist dieses Selbsteigentum auch Gegenstand der in Art. 1 für unantastbar erklärten Würde des Menschen.

Mit dem Impfen, bzw. mit Infektionskrankheiten kommt allerdings ein Aspekt hinzu, durch den die Verfügung über den eigenen Körper nicht nur Auswirkungen auf diesen Körper, sondern indirekt auch auf andere Körper hat. Viren und andere Erreger, die in meinem Körper entstehen, können auf andere Menschen übergehen und in deren Körper zu Krankheiten führen. Der Umgang mit meinem Körper hinsichtlich dieser Erreger hat also indirekt auch Auswirkungen auf die Gesundheit anderer Menschen, zumindest potentiell. Damit tritt der Begriff der Solidarität ein, denn im Umkehrschluss haben die medizinischen Maßnahmen, die ich gegen eine Infektionskrankheit ergreife – und seien sie auch nur vorbeugend, um eine Infektion zu vermeiden – ebenso eine potentielle Auswirkung auf andere Menschen und ich kann daher bei einer entsprechenden Maßnahme wie z.B. dem Impfen, aber auch bei einer Prävention wie dem Tragen von Masken, nicht nur das Interesse an der eigenen Gesundheit, sondern auch das Interesse meiner Mitmenschen in meiner Entscheidung berücksichtigen. Ich kann mich sogar, selbst wenn ich für mich persönlich eine Impfung nicht für erforderlich halte, impfen lassen, um damit aus reiner Solidarität an der Verhinderung der Ausbreitung des Erregers mitzuarbeiten.

Das ist Solidarität und das ist etwas Gutes.

Allerdings ist diese Solidarität nur etwas Gutes, solange sie auf einer freien Entscheidung beruht, denn diese Form der Solidarität, bei der ich in die Entscheidung über meinen eigenen Körper das Interesse Dritter einbeziehe, greift in mein Selbsteigentum ein, in mein fundamentalstes Grundrecht, in meine Würde als Mensch. Wenn ich zum Schutz meiner Mitmenschen vor möglichen Erregern eine Schutzmaske trage, wie das beispielsweise für Chirurgen seit jeher üblich ist, dann mögen die Auswirkungen auf meinen Körper so minimal oder sogar nichtig sein, dass kaum ein Mensch nicht bereit wäre, zur Verhinderung von weit drastischeren Gefahren für den Anderen diese Auswirkungen hinzunehmen. Bei einer Impfung sieht das schon etwas anders aus. Da handelt es sich nicht nur um eine vorübergehende und vorbeugende Maßnahme, die keine direkten Einfluss auf den Körper hat, sondern da handelt es sich um einen medizinischen Eingriff, der den Körper nicht nur physisch beschädigt (durch die Nadel), sondern Substanzen einbringt, die den Organismus nachhaltig verändern. Auch hier sind in der Regel die Gefahren, die durch die Impfung abgewendet werden, weit drastischer als die Beeinträchtigung durch die Impfung, weswegen sich viele Menschen auch impfen lassen. Allerdings ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass jede Impfung ein wenn auch extrem geringes Risiko in sich trägt, selbst eine drastische Krankheit auszulösen, die in seltenen Fällen sogar zum Tod führt. Auch hier ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Verhinderung von schweren Krankheiten weit höher als die Wahrscheinlichkeit eines Impfschadens, aber letztere ist eben nicht null, d.h. es gibt eine kleines aber existierendes Risiko eines Impfschadens.

Risiken, zumal wenn es um die eigene Gesundheit geht, sind immer konkrete und persönliche Abwägungen. Wahrscheinlichkeiten kann man objektiv bestimmen, eine Risikoabwägung ist eine von persönlichen Bewertung und Abwägungen abhängige Entscheidung. Der eine findet, dass die Wahrscheinlichkeit, beim Free-Climbing abzustürzen so hoch ist, dass sie nicht den daran erlebten Spaß aufwiegt: Das Risiko ist ihm zu groß. Der andere findet den Spaß am ungesicherten Klettern so grandios, dass er die geringe Wahrscheinlichkeit eines Sturzes dafür in Kauf nimmt: ihm ist es dieses Risiko wert. Man kann keinem der beiden widersprechen, denn es ist ihre ganz persönliche Abwägung und eine, die wir letztlich jeden Tag machen: Fast alles was wir im Leben machen, birgt ein gewisses Risiko in sich und wir wägen immer den Nutzen gegen die Gefahren ab. Gefahr und Nutzen lassen sich aber nicht objektiv bewerten sondern immer nur individuell. Ich persönlich würde das Risiko des Freeclimbings niemals auf mich nehmen, weil ich sehr am Leben hänge und mir Klettern keinen großen Spaß bereitet (vor allem, weil ich es nicht kann…). Andere Menschen treffen da ganz offenbar andere Entscheidungen, weil ihnen das Leben nicht lebenswert erscheint ohne den Spaß am Klettern. Beides ist legitim. Risiken können nur individuell bewertet werden.

Nun mag das Risiko des Impfens weit geringer erscheinen als das des Freeclimbings – wobei ich nicht einmal weiß, ob die Wahrscheinlichkeit beim Freeclimbing zu verunfallen wirklich so hoch ist. Vielleicht sieht es einfach nur gefährlicher aus als eine Impfung… – das ändert aber nichts daran, dass Risikoabwägungen individuell sind. Und das wird deutlich, wenn wir die Beispiele auf etwas drastischere Fälle erweitern: Was ist z.B. mit dem Spenden einer Niere? Eine Spenderniere kann für den Empfänger über Leben und Tod entscheiden. Der Nutzen – zumindest für den Anderen – ist also äußerst hoch. Weit höher als bei einer Impfung, denn während dort nur potentielle Infektionen vermieden werden, vermeidet eine Nierenspende eine reale, konkrete und in den meisten Fällen mit annähernder Sicherheit eintretende, tödliche Gefahr. Allerdings ist eine Nierenspende auch ein Eingriff, der ein ungleich höheres Risiko für den Spender darstellt, als eine Impfung. Doch wie wir wissen, sind Risikoabwägungen persönliche Entscheidungen und nicht objektivierbar. Der Eine würde im Leben nicht das Risiko einer Nierenspende auf sich nehmen, während der Andere die Gefahren angesichts der Möglichkeit, ein Leben zu retten, für nebensächlich hält. Beides ist legitim.

Entscheidend ist, dass von der Atemmaske bis zur Nierenspende und darüber hinaus die selbe Grundproblematik vorliegt, nämlich eine persönliche Risikoabschätzung zwischen Gefahr und Nutzen und eine persönliche Abwägung des eigenen Interesses und Rechts auf das Selbsteigentum und die Unversehrtheit des eigenen Körpers gegen das Interesse des Anderen und den solidarischen Wunsch, dem Mitmenschen zu helfen.

Solidarität ist die freie Entscheidung jedes Menschen, eigene Gefahren im Dienste des Anderen hinzunehmen. In welchem Maß dabei der Einzelne bereit ist, Gefahren einzugehen, ist seiner Freiheit unterstellt, da die Entscheidung immer einen Eingriff in seine fundamentalsten Grundrechte darstellt. Den Menschen zu einem Eingriff in seinen Körper zu zwingen, ihm sein Selbsteigentum und die Verfügung über seinen Körper ganz oder teilweise zu entziehen, ist in jedem Falle eine Antastung seiner Würde und daher nicht nur für unser Rechtsempfinden, sondern auch institutionell in unserer Verfassung ausgeschlossen.

Ich darf einem Menschen nicht mit Gewalt eine Niere herausreißen, nur weil ich selbst eine Niereninsuffizienz habe. Ich darf einen Menschen auch nicht töten, braten und essen, wenn ich ansonsten zu verhungern drohe. Ich denke darin sind sich alle einig. Wenn ein Chirurg hingegen darauf bestehen würde, ohne Maske zu operieren, weil er sich dadurch in seiner Würde beschnitten sähe, hätten wir dafür wahrscheinlich kein Verständnis. Wo aber ist hier die Grenze? Wo wird der Schutz der eigenen Unversehrtheit zur Bedrohung der Unversehrtheit des Anderen und wann ist das Recht des anderen auf körperliche Unversehrtheit legitimer Grund, mein Recht darauf zu beschneiden?

Das ist die eigentliche Frage in dieser Sache, denn rein von der logischen Struktur her sind alle Fälle gleich gelagert, vom Chirurgen über die Impfung und die Nierenspende bis zum Kannibalen: Das Interesse des Anderen auf Leben und Gesundheit endet an meiner unantastbaren Würde als selbstbestimmter und selbsteigener Mensch. Und dieses Selbstinteresse ist kein Defekt, sondern die Grundbedingung dafür, den Menschen als freies Individuum zu verstehen und zugleich Gesellschaft, d.h. ein Miteinander freier Individuen, möglich zu machen. Denn die Würde des Menschen besteht genau in diesem Selbstinteresse. Die Legitimation seiner Existenz resultiert nicht aus äußeren Bedingungen sondern liegt in ihm selbst. Der Mensch ist Selbstzweck und darf niemals nur Mittel zu irgend einem anderen Zweck sein. Das ist der Begriff der Menschenwürde, wie er spätestens seit Kant unsere Zivilisation prägt.

Mit diesem Selbstinteresse, das die Würde des Menschen ausmacht, ist ihm aber auch Selbstverantwortung gegeben. Und diese Selbstverantwortung ist nur in einer Richtung verhandelbar, nämlich dann, wenn ich sie selbst auf Andere erweitere, d.h. in eigener Entscheidung Verantwortung für Andere übernehme. Jeder Versuch hingegen, meine Selbstverantwortung auf Andere abzuwälzen, d.h. sie in die Pflicht für meine Interessen zu nehmen, ist ein Eingriff in die Würde des Anderen, da er damit zum Mittel zum Zweck degradiert, nämlich in den Dienst meiner Interessen gestellt wird. Das alles ist in dem Begriff der „Würde des Menschen“ enthalten und folgt aus ihm und ich reite deswegen so darauf herum, weil die Väter unseres Grundgesetzes nicht ohne Grund diesen Begriff an den Anfang unserer Verfassung gesetzt und ihn für unantastbar erklärt haben.

Es mag zunächst roh und kaltblütig erscheinen, mit dieser philosophischen Argumentation demjenigen das Wort zu reden, der einen Nierenkranken sterben lässt, weil er nicht bereit ist, seine Niere zu spenden. Oder noch viel schlimmer demjenigen das Wort zu reden, der die Lebensgefahr vieler Menschen in Kauf nimmt, um sich den möglichen aber geringen Risiken einer Impfung zu entziehen? Ist unsere Gesellschaft nicht dem Verderben geweiht, wenn wir solchen Egoismus nicht nur tolerieren, sondern in geradezu zum Herzstück unserer Verfassung erklären?

Nein, ist sie nicht. Und zwar aus zwei Gründen:

Die Wirklichkeit zeigt, dass Menschen in hinreichendem Maße solidarisch sind. Die Welt sähe bedeutend anders aus, wenn das nicht der Fall wäre. Wir alle tragen Mundschutz und viele lassen sich gerne impfen. Wir helfen auch alten Omas über die Straße, wir spenden Geld nach Afrika und kaum einer hat Probleme damit, dass wir erwerbsunfähige Mitbürger, insbesondere Kinder und Alte, mit Essen und Trinken versorgen…

Darüber hinaus hat das Individuum aber auch ein eigenes Interesse an Gesellschaft, denn es kann seine Interessen und seine Freiheit umso besser entfalten, je leistungsfähiger und effizienter die Gesellschaft ist, in der es lebt. Das Individuum ist abhängig von Gesellschaft, aber nicht nur im Sinne gegenseitigen Profitierens, sondern auch in seiner Selbstbestimmung als Individuum: Ohne Gesellschaft ist Freiheit nicht möglich, weil schlicht und ergreifend das Medium fehlt, in dem Freiheit überhaupt stattfindet: Kultur, und zwar im allgemeinsten Sinne sozialer Kommunikation und Interaktion. Denn solange wir allein sind, ist unser einziges Medium die Natur und der gegenüber sind wir alles andere als frei.

Diese beiden Faktoren sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft nicht an mangelnder Solidarität zugrunde geht, auch wenn wir dem Menschen sein Selbsteigentum und seine Würde als Individuum zugestehen. Auf der anderen Seite hätte aber die Aufweichung des Schutzes der Würde des Menschen fatale Folgen, die weit über Egoismus hinaus gehen. Wenn wir das Selbsteigentum des Menschen einschränken und die Entscheidung über seinen Körper den Interessen Dritter unterstellen, und sei es auch nur der harmlos wirkende Stich einer Impfung, dann öffnen wir die Schleusen zu einem Menschenbild, in dem die Würde des Menschen gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Interessen unterstellt wird und der Mensch damit zum Mittel zum Zweck wird. Eine erzwungene Impfung ist ein Eingriff in den Körper eines Menschen, der dem Zweck dient, andere Menschen vor der möglichen Gefahr einer Infektion zu schützen. Der Mensch wird dadurch instrumentalisiert in einer Weise, die sich nur graduell von dem oben beschriebenen Beispiel des Kannibalismus unterscheidet.

Denn wer setzt die Grenzen, wer bestimmt, wie das Risikos des Zwangsgeimpften mit dem Risiko des dadurch eventuell vor einer Infektion geschützten Anderen abzuwägen ist? An welcher Stelle zwischen Impfzwang und Nierenspendenzwang ist die Grenze zu setzen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Risikoabwägungen wie oben gesehen stets individuell ausfallen?

Es gibt für so eine Grenze keine objektiven Kriterien außer dem einen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und das heißt, dass jeder Eingriff in den Körper dem Selbsteigentum unterliegt und daher der freien Zustimmung des Körpereigentümers bedarf. Das mag in Epidemiologischer Hinsicht unbefriedigend wirken, weil natürlich das radikale Durchimpfen einer Population die besten Chancen auf Ausrottung eines Erregers verspricht. Aber die Auswirkungen einer Abschaffung der Menschenwürde wären weit drastischer als die einer Corona-Pandemie. Auch noch so probate Lösungen rechtfertigen es nicht, den Menschen zum Mittel zum Zweck zu machen.

Wenn also Ärzte und Politiker auf Solidarität verweisen und zur Impfung raten, dann ist das eine legitime Form gesellschaftlicher Interaktion. Wenn allerdings eine Impfpflicht gefordert wird, dann müssen dafür wirklich sehr gute Gründe vorgelegt werden, d.h. insbesondere Gründe, die vom Rang her der Würde des Menschen gleich kommen.

Man muss kein Impfgegner sein, um der Ansicht zu sein, dass Gründe dieses Ranges nicht vorliegen, auch nicht bei einer Pandemie. Auf jeden Fall aber sind solche Gründe nicht ohne weiteres und offensichtlich gegeben und es bedarf einer eingehenden öffentlichen Diskussion dieser Gründe, wenn über eine Impfpflicht nachgedacht werden sollte. Ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper bedarf, wenn überhaupt, einer sehr fundierten Legitimation.

Eine Impflicht – und auch schon das Aufbauen von sozialem und teilweise institutionellem Druck – unter der Fahne der Solidarität zu verkaufen ist allerdings gleich in zweifacher Weise ein Missbrauch dieses Begriffes: Zum einen weil der Begriff der Solidarität, der notwendig mit einer freien Entscheidung verbunden ist, dadurch ausgehöhlt wird. Zum Anderen weil dadurch im Dienste eines vorgeblich gesellschaftlichen Interesses (was letztlich nichts anderes ist als das auf die Gesellschaft interpolierte Einzelinteresse der Einzelnen) der Mensch instrumentalisiert und zum Mittel zum Zweck degradiert wird, um die eigenen Interessen zu verfolgen. Statt mich selbst für meine Gesundheit verantwortlich zu zeigen, wälze ich diese Verantwortung auf meine Mitmenschen ab und verlange von ihnen einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit, damit ich mich selbst nicht mehr vor einer möglichen Infektion schützen muss.

Dieser Missbrauch der Solidarität schleicht sich aber schon länger auch in anderen Bereichen des Lebens ein, nicht nur in der Epidemiologie. Die Ansprüche, die im Namen der Gesellschaft oder des „Gemeinwohls“ erhoben werden und die darauf zielen, die Verantwortung für das eigene Leben auf die Gesellschaft, den Staat oder eben die Mitmenschen abzuwälzen und die im Ergebnis der Versuch sind, diese Gesellschaft und damit die anderen Menschen für die eigenen Interessen verantwortlich zu machen, werden immer mehr und sie werden regelmäßig als Solidarität verkauft. Doch auch wenn oberflächlich betrachtet die freiwillige Entscheidung, sich im Dienste der Mitmenschen Impfen zu lassen, und ein Gesetz, das Menschen verpflichtet, sich impfen zu lassen, ganz ähnlich wirken und sogar zu ähnlichen Ergebnissen führen, könnten sie in ihrem ethischen und juristischen Gehalt, dem zugrunde liegenden Menschenbild und ihrem Verhältnis zur Verfassung unterschiedlicher nicht sein.

Auch wenn es zugestandenermaßen gravierenderen Rechtsmissbrauch gäbe als eine Impfpflicht, so wäre mit ihr doch ein kleiner aber kategorialer Schritt hin zur Aufweichung der von der Verfassung geschützten Würde des Menschen gegeben. Denn anders als beispielsweise bei der Maskenpflicht, die von manchen Menschen auch als eine körperliche Beeinträchtigung gesehen wird, ist eine Impfung ein tatsächlicher, objektiv feststellbarer Eingriff in den Körper. Nicht nur durch die Spritzennadel, sondern insbesondere durch die eingebrachten Substanzen, die ja nicht nur kollateral sonder dem Wirkprinzip der Impfung folgend beabsichtigt Krankheitssymptome hervorrufen. Man kann in medizinischer und persölicher Sicht ein glühender Verfechter von Impfungen sein, und trotzdem erkennen, dass mit diesem Schritt, so pragmatisch er in der aktuellen Situation auch erscheinen mag, eine rote Linie mit unabsehbaren Folgen überschritten wird.

Ein solches kollektivistisches Menschenbild, in dem das Individuum einem äußeren Zweck untergeordnet und für beliebige politische oder wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert wird – egal ob diese Interessen niederträchtig oder edel sind – missbraucht den Begriff der Solidarität, um den kardinalen Unterschied zwischen kollektivistischem Zwang und freier sozialer Interaktion zu verschleiern. Und dadurch wird nicht nur das abstrakte Prinzip der Menschenwürde beschädigt, sondern es wird mit der Verlagerung von Selbstverantwortung auf die Gesellschaft und der Delegierung solidarischer Aufgaben an staatlichen Zwang auch die ganz praktische, echte Solidarität der Menschen zurückgedrängt und ausgehöhlt. Die ständige Heranziehung des Staates und seiner Gesetze – und das heißt nichts anderes, als andere Menschen zu verpflichten – um die Herausforderungen des Lebens zu meistern, seien es individuelle oder gemeinschaftliche, ist nicht nur ein Übergriff, sondern führt im Gegenzug zu Hilflosigkeit, zu Anspruchshaltungen und zu einem Rückgang der Verantwortung für sich und seine Mitmenschen. Wo immer im Alltag der Staat zu sehr agierend und organisierend eingreift, da lähmt er private Initiative und die Bereitschaft, sich verantwortlich zu fühlen. Er höhlt damit nicht nur das Individuum und seine Freiheit aus, indem er es immer mehr Zwängen unterstellt, sondern er höhlt damit vor allem ein dem Individuum ebenso eigenes Bedürfnis aus, das als das eigentliche Wesen des sozialen Lebens eine notwendige Bedingung für eine gesunde Gesellschaft ist: Echte, aus Freiheit geborene, sich aus eigenem Antrieb für die Interessen des Mitmenschen verantwortlich fühlende Solidarität!

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