Heut mal wieder eine Meldung aus der Abteilung „Werbung für Qualität in der Software-Entwicklung“:
Die Reiferen unter uns werden sich noch erinnern: Dateiverwaltung unter DOS (das war mal ein Betriebssystem, liebe Kinder^^) hieß seinerzeit: Norton Commander. Der Norton Commander hat die Dual-Panel-Dateiverwaltung erfunden und ist unter Systemprogrammen das, was Aristoteles für die Philosophie ist. Leider sind beide schon lange tot und viele haben ihnen nachgeeifert und versucht, ihren Rang zu erreichen. Augustinus, Thomas von Aquin, Leibnitz, Total Commander, muCommander, Forklift etc…
Alle habe ich sie ausprobiert, begonnen mit dem durchaus sehr guten aber nur auf Windows arbeitenden Total Commander, über Free Commander, Midnight Commander, muCommander, ForkLift und Commander One, hatte aber zuletzt, mittlerweile schon lange auf einem Mac arbeitend, schon aufgegeben und mich ins Schicksal der immer schlechter werdenden Software gefügt. Sollte ich nun wirklich erneut das zwar ärgerliche aber mittlerweile gewohnte Programm gegen einen anderen Klon austauschen, der zwar die drei Funktionen hat, die mich beim jetzigen ärgern, dem dafür aber auf lange Sicht 6 andere wieder fehlen? Nachdem Commander One zum zweiten Mal ein automatisches Update auf eine kostenpflichtige Version machte, ohne mich zu fragen, war ich drauf und dran, meinen letzten Krümel Würde zu verkaufen und von Commander One wieder auf den mit Support-Vakuum verkauften ForkLift zurück zu wechseln, als mir sozusagen der Immanuel Kant unter den Dateiverwaltern über den Weg lief, dessen Existenz mir aus unerfindlichen Gründen bisher verborgen geblieben war. Sozusagen der Dual-Panel-File-Manager an sich: Nimble Commander!
Gestoßen bin ich zunächst allerdings auf seinen Entwickler Michael Kazakov aus Kanada der sich in einem Blogpost über Qualität in der Softwareentwicklung mit den Worten „It should be mentioned that IMHO the current state of the software industry could be fairly described as ‚dumpster fire'“ auslässt und ein Manifest zitiert, in dem es heißt:
Recently, our industry’s lack of care for efficiency, simplicity, and excellence started really getting to me, to the point of me getting depressed by my own career and IT in general. (…) Modern cars work, let’s say for the sake of argument, at 98% of what’s physically possible with the current engine design. (…) Only in software, it’s fine if a program runs at 1% or even 0.01% of the possible performance. Everybody just seems to be ok with it.
https://tonsky.me/blog/disenchantment/
was wie kaum etwas anderes mit meiner eigenen Wahrnehmung der Branche in Resonanz trat, und zwar nicht nur hinsichtlich der Performance, sondern auch im Hinblick auf Usability, Modularität und Interoperabilität.
Die Software-Entwicklung – und das schließt SAAS und Webangebote mit ein – orientiert sich längst nicht mehr am Benutzer und seinen Bedürfnissen, sondern an den Marketing-Strategien der jeweiligen Konzerne. Statt Usability steht eine den User entmachtende Automatisierung auf dem Programm, statt Modularität wird fleißig integriert, weil jeder Konzern die Eierlegende Wollmilchsau verkaufen will, auch wenn sie viereckige Eier, billiges Synthetikgarn und mit Antibiotika vollgepumpte, herzkranke Säue liefert – eine ursprünglich von Microsoft erfundene Strategie – und statt Interoperabilität wird peinlich darauf geachtet, ein eigenes System-Universum zu erschaffen, das mit nichts und niemandem kompatibel ist, schon gar nicht mit allgemeinen Standards, um so die Kunden am Abwandern zu hindern. Zu meinem nachhaltigen Erstaunen ist der Großteil gerade gewerblicher Nutzer geradezu geil auf diese Art der Selbstversklavung und kauft alles was Microsofts Marketingabteilung raus haut.
Es gibt nur sehr wenige Bereiche, wie etwas das Web und die Browser-Technologie, in denen Microsoft mit dieser Strategie vor die Wand gefahren ist, vielleicht aber auch einfach nur zu spät kam. Mittlerweile dominieren dort allgemeine und offene Standards wie HTML5, CSS3, JavaScript, XML, JSON, HTTP, Apache/Nginx, PHP etc. Im Business-Bereich ist das Gegenteil der Fall.
Im Zuge dieser Entwicklungen hat sich offenbar beim durchschnittlichen User eine Art Fatalismus ausgebreitet, ähnlich wie er unserer manchmal überschäumenden Verwaltungs-Bürokratie gegenüber die einzige pragmatische Option ist. Er nimmt die konzeptionellen Fehler von Software als notwendige Beschränkung hin und organisiert seine Geschäftsprozesse um die Funktionalität der Software herum, obwohl es eigentlich genau umgekehrt sein sollte. Ich erinnere mich noch sehr genau an mein Staunen, als Kinos in den 90ern plötzlich damit begannen, Platzkarten zu verkaufen. Bis dato bekam derjenige die besten Plätze im Kino, der zuerst da war und als Eintrittskarte hatte man diese kleinen, graubunten Abreißkärtchen aus weichem Kartonpapier. Doch plötzlich wurden Computer in den Kassenhäuschen installiert und irgend ein Software-Entwickler hatte sich die Sache so zurechtgelegt, dass sein Programm Platzkarten organisieren konnte. Und fortan verkauften die Kinos Platzkarten. Nicht weil sie sich aus unternehmerischen Gründen dafür entschieden hatten, sondern weil die Bürokratie der Software es ihnen quasi vorschrieb!
Und nach diesem Muster läuft das jetzt überall. Microsoft, SAP und ein paar Andere gestalten die Geschäftsprozesse von Industrie und Dienstleistung, vom Kleinstunternehmen bis in die höchsten Etagen der Konzerne.
Deswegen also fiel der Blogpost von Michael Kazakov auf fruchtbaren Boden bei mir und als er in einem anderen Blogpost zeigte, dass beim Abarbeiten eines kleinen Test-Szenarios, in dem die File-Manager einen Ordner mit einer Million Dateien öffnen und anzeigen sollten, das von mir anvisierte Programm „Forklift“ ganze 1,7 GigaByte Speicher benötigte, während seine App mit 150MB auskam, da wurde ich neugierig. War da tatsächlich ein Programmierer am Werk, der Software nach technischen Kriterien entwickelt und nicht nach Marketing-Prinzipien?
Also überwand ich mich ein letztes Mal den Schritt ins Ungewisse zu machen und einen weiteren Dual-Panel-File-Manager zu testen. Und ich wurde für meinen Mut reichlich belohnt!
Nicht nur dass Nimble Commander tatsächlich schnell arbeitet, für jemanden der die Trägheit von Forklift oder Commander One am Ende irgendwie für naturgegeben hielt geradezu unglaublich schnell! Er bietet auch in der Bedienung genau das, was ich als Benutzer brauche. Allem voran eine Bedienung über die Tastatur. Denn Dual-Panel-File-Manager werden i.d.R. von erfahrenen Benutzern verwendet, die viel und schnell arbeiten und die sich nicht mit dem Herumschieben von Mäusen aufhalten wollen. Allein die Möglichkeit, einfach den Beginn des Namens eines Ordners einzutippen (und zwar ohne vorher mit der Maus in irgend ein Feld zu klicken) und damit die Anzeige auf die entsprechende Zeichenfolge passende Auswahl an Ordner zu reduzieren, ist eine Hilfe, die Täglich eine ganze Zigarettenpause an Arbeit spart.
Ein weiteres Highlight ist für mich die Möglichkeit, im zweiten Panel direkt eine Vorschau der Datei zu sehen, die im anderen Panel gerade unter dem Cursor steht. Das ist insbesondere bei Bildern extrem hilfreich. Auch dass beim Mehrfach-Markieren von Dateien noch immer das Bild unter dem Cursor angezeigt wird (und nicht etwa das erste markierte oder gar keins, wie das bei anderen Kandidaten der Fall war), ist zwar ein winziges Feature, das aber zeigt, dass der Programmierer die Perspektive des Users einnimmt und dieser deswegen dann flüssig arbeiten kann.
Natürlich hat er noch viele andere Features und kann auch alles, was zur Basis seiner Anwendungskategorie gehört – Dateien und Ordner erstellen, kopieren, verschieben, löschen, FTP/SFTP-Verbindungen, Editoren und Betrachter einbinden, Packen und Entpacken, Massen-Umbenennung mit Regular Expressions und vieles mehr. In seiner Favoriten-Leiste zeigt er die im Finder (also im System) eingestellten Favoriten an und keine eigene Liste. Denn selbstverständlich sind meine Favorisierten Ordner immer die gleichen, egal mit welchem File-Manager ich arbeite. Modularität statt Integration!
Für mich ist der Nimble Commander nach einer langen Zeit (seit 2007, als ich durch meinen Wechsel von Windows zu Mac den Total Commander verlor), in der sich die Arbeit anfühlte wie wenn man mit der falschen Hand schreiben muss, eine wirkliche Erlösung. Denn der File-Manager ist meine „Shell“, von der alle meine Arbeit am PC ausgeht und wo sie zusammenläuft. Der File-Manager – das war schon zu Nortons Zeiten so – ist meine Fenster zum Dateisystem und meine Armatur, mit der ich meine Daten verwalte. Es ist kein Tool und kein Hilfsprogramm, es ist mein verlängerter Arm am PC!
Danke, danke, danke Michael Kazakov für dieses großartige Stück Software!
PS: den Nimble Commander gibt’s nur für macOS. Für die Windows-Nutzer ist der Total Commander von Christian Ghisler ein alter, aber immer noch ebenbürtiger Mitbewerber! Und die Linux-Enthusiasten haben ja mit bash schon mehr Komfort als sie jemals haben wollten…^^