Shared-Space – für Fahrradfahrer schon Wirklichkeit

In der niedersächsischen Gemeinde Bohmte wird das EU-Projekt <a href="http://www.bohmte.de/staticsite/staticsite.php?menuid=123&topmenu=123&keepmenu=inactive" title="Shared-Space in Bohmte">Shared-Space</a> getestet: keine getrennten Verkehrswege mehr für Fußgänger und Autos, keine Schilder, keine Ampeln. Es herrschen die Grundregeln Rechts vor Links und Rücksichtnahme. Das Projekt dient als Versuch und soll zeigen, ob durch Deregulierung die Sicherheit erhöht werden kann. Gleichzeitig wird der Verkehrsraum als Lebensraum attraktiver.<br />
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Dass sich überhaupt eine deutsche Gemeinde für ein solches Projekt erwärmen konnte, ist schon sensationell. Denn eigentlich übersteigt es die deutsche Vorstellungskraft, dass man auf unserem Lieblingsschlachtfeld ganz ohne Regulierung auskommen soll. Wie soll ich wissen, was ich tun muss, wenn kein Schild mir Vorschriften macht? Kann ich überhaupt noch fahren, wenn ich mich nicht auf mein ungeteiltes Recht auf Vorfahrt berufen kann? Muss ich am Ende auf eine minutiöse Handlungsanweisung verzichten und womöglich beginnen, zu kommunizieren? Denn genau darin liegt der Kern von Shared-Space, wie der Verkehrsplaner Hans Mondermann erklärt: "wenn man sich gegenseitig in die Augen blickt, kann eigentlich nichts mehr schief gehen."<br />
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Es geht also keineswegs darum, Regeln abzuschaffen, sondern ganz im Gegenteil, die Regeln zu stärken. Statt der Illusion zu erliegen, man könne wie in einem Computerprogramm den gesamten Ablauf des Verkehrs durch Schilder und weiße Pfeile auf der Straße steuern und kontrollieren, setzt man darauf, dass ein System aus intelligenten Individuen anhand überschaubarer Regeln selbstregulierend funktioniert. So wie das z.B. auch in einer Fußgängerzone geht, wo noch jeder an jedem vorbeigekommen ist. Nicht zuletzt durch Kommunikation. Und wenn es doch Missverständnisse gibt, dann rennt man sich nicht über den Haufen sondern bleibt eventuell im Synchronen hin und her voreinander angewurzelt, bis man sich – eben durch Kommunikation – auf eine Lösung einigt. Dadurch ist noch keiner zu spät zur Arbeit gekommen. <br />
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Für den Fahrradfahrer auf deutschen Straßen, insbesondere in Städten wie z.B. Stuttgart, ist Shared-Space ohnehin schon längst Wirklichkeit. Denn er hat keinen eigenen Raum. Die paar Fahrradwege, die existieren und benutzbar sind, teilt er entweder mit Fußgängern oder mit Autofahrern. Wirklich separate Verkehrswege sind die Ausnahme. So ist man als Radfahrer ständig in der Not, Rücksicht zu nehmen auf Fußgänger, die nicht mit Fahrradfahrern rechnen, schon gar nicht von hinten – und zurecht, denn man geht im Park spazieren, um die Gedanken schweifen zu lassen oder Gespräche zu führen, nicht um vor herransausenden Rädern zu fliehen – oder Obacht zu geben auf Autofahrer, für die Fahrradfahrer ein Störfaktor sind, den es durch knappstes Überholen und Schneiden, durch herzstillstandverursachendes Hupen von hinten oder durch schlichtes Ignorieren zu bekämpfen gilt. Völlig vogelfrei und zum Abschuss freigegeben sind Fahrradfahrer immer dann, wenn sie auf einer Straße fahren, obwohl ein Fahrradweg existiert. Meine eindrücklichsten Nahtodeserlebnisse gehen auf solche Situationen zurück. Dass Fahrradfahrer dies tun – dem Autofahrer also mutwillig einen Shared-Space aufnötigen – ist für den Automobilisten meist völlig unverständlich. Aus Radfahrersicht gibt es allerdings in vielen Fällen gute Gründe, die einer Erörterung wert sind. <br />
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Dass der Shared-Space für Radfahrer aber nicht wirklich funktioniert, liegt daran, dass er nur Gast im Space ist und der jeweils andere nicht einmal ahnt, dass es da etwas zu teilen gibt. Er empfindet den Radfahrer nur als Eindringling, so wie es der ehrgeizige Mobilist auch als Übergriff empfindet, wenn eine andere Karosse auf die Idee kommt, vor ihm auf <em>seine</em> Fahrspur zu wechseln und dieses Vorhaben auch durchführt, obwohl der Mobilist durch Hupzeichen deutlich klargestellt zu haben meint, dass er dazu keine Erlaubnis gegeben hat. <br />
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Durch Shared-Space wird diese Art des Eigentumsbegriffes über Bord geworfen und es würden die Unfallzahlen schon deswegen rapide sinken, weil all jene Unfälle entfielen, die entstehen, weil jemand trotz rechtzeitigen Erkennens der Gefahrensituation noch hupend beschleunigt, weil er schließlich im Recht ist und diesem Recht Geltung verschaffen will. Shared-Space setzt dieses Recht aus. Wo es kein Verbot gibt, kann es auch keine Übertretung geben. Und wo es keine Übertretung gibt, ist niemand im Recht, sondern nur in der Pflicht, für eine Lösung zu sorgen. Und die heißt im Notfall: bremsen oder ausweichen! Als Radfahrer kennt man diese Option sehr gut, denn die relative Verletzlichkeit des Radfahrers gegenüber dem Auto lässt einen im eignen Interesse darauf verzichten, seine Rechte durchzusetzen, auch wenn sie noch so glasklar zutage liegen.<br />
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Hinter diesen Nützlichkeitserwägungen hinsichtlich Verkehrsfluss und Sicherheit, die man natürlich vorschieben muss, weil sich hier niemand für eine Idee erwärmen würde, wenn sich kein äußerer Nutzen nachweisen ließe (wir leben in Deutschland schließlich nicht zum Spaß!), ist aber das eigentlich verlockende an Shared-Space, dass die Straße in der Stadt wieder von der industriellen Logistikfläche<br />
zum sozialen Raum würde. Denn auch die Fußgängerzone ist da eigentlich nur ein schlechter Behelf. Denn während natürlich Autostraßen in der Stadt durch ihren Lärm und ihre Gefahren, mit denen sie den sozialen Raum zerschneiden, völlig deplaziert sind, gehören aber dennoch Autos zum sozialen Leben hinzu. Man kann Autos nicht aus der Stadt eleminieren, denn in den Autos sitzen Menschen, und die gehören essentiell zu einer Stadt dazu. Shared-Space würde es aber möglich machen, den städtischen Raum, der durch isolierte Autostraßen sozial brach liegt, wieder urbar zu machen. Und zwar <em>mit</em> Autos! Wer einmal in Italien am Abend eine Piazza in einer Z.T.L (Verkehrsbeschränkten Zone) besucht hat, weiß, wie das funktionieren kann, wie fügsam sich Autos ins Fußgängergetümmel einordnen können und wie kommunikativ es sein kann, doch mit dem Auto schnell beim Bäcker vorbeifahren zu können und sogar ohne auf Parkplatzmarkierungen und Zahlscheine zu achten direkt vor dem Bäcker einfach anzuhalten und auszusteigen. Solange irgendwo noch Platz für andere ist, vorbei zu kommen.<br />
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Doch solange in Stuttgart mitten durch die Stadt noch 6-Spurige Autobahnen mit Transitverkehr führen, die Ampeln für jede einzelne Spur eine eigene Phase haben und nur 100 Meter weiter in der Hauptfußgängerzone, dem Herz der Stadt, Fahrradverbot besteht, ist man von der Idee eines Shared-Space noch Lichtjahre entfernt. Dazu muss sich zunächst einmal die Erkenntnis durchsetzen, dass soziale Interaktion – denn nichts anderes ist der Straßenverkehr – von Kommunikation lebt und nicht von einer zentralen Steuerung von Oben. Und dass der Straßenverkehr, zumal in der Stadt, kein Wettkampf sondern ein sozialer Akt ist. <br />
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Und es ist ausdrücklich erlaubt, seinen Verstand zu benutzen! <br />
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