Ich kannte Eva Herman nur von der Ferne und als Nachrichtengesicht, bis am 9. Oktober ein Mail mit einem Link zu SPON eintrudelte, wo berichtet wurde, dass eben diese Dame aus der Talkshow von J. B. Kerner geworfen wurde. Ein Eklat! Und das tollste daran in unserer Medienwelt: die Sendung fing gerade erst an. Also einschalten und den Eklat genießen. Und dabei passierte etwas ganz außergewöhnliches:
Von SPON wusste ich, dass der Rauswurf aufgrund eines „Nazivergleichs“ geschehen würde, den Herman angestellt habe und von dem sie sich nicht distanzieren wolle.
In der Sendung dann, die ich leider nicht ganz von Anfang an sah – insbesondere das inkriminierte Zitat von Herman hörte ich nicht – stellte Herman uneinsichtig und trotzig ihr Zitat nicht auch nur ansatzweise in Frage, sondern warf munter mit Nazi-Parolen um sich: sie sorgte sich um das Überleben der Deutschen und wollte die heren Werte des Faschismus verteidigen, weil wir ja schließlich auch auf Autobahnen fahren. Das mehrfache Angebot von Kerner, sich für ihre Entgleisungen zu entschuldigen und sich von derlei Gedankengut zu distanzieren, schlug sie aus. Daraus zog Kerner die Konsequenz, sie rauszuschmeißen.
Nun begab es sich aber, dass in meinem digitalen Mutterschiff, der RSL, einer meiner besten Freunde die Ansicht vertrat, dass Herman doch überhaupt nichts schlimmes gesagt habe und dass das ganze eine üble Hexenjagd sei. Kerner und die anderen Gäste (Senta Berger, Schreinemakers, Mario Barth und ein Historiker) hätten weder ihr Zitat, noch ihr Anliegen begriffen sondern würden auf Basis reiner Vorurteile argumentieren. Ich hielt tapfer dagegen und versuchte zu erklären, warum „Autobahn“ wirklich nicht geht – allerdings: wir fahren tatsächlich auf Autobahnen!
Dennoch darf man nicht die Werte des Nazionalsozialismus mit Konservativismus verwechseln. Ich wunderte mich sehr über die seltsamen Wendungen meines Freundes, der eigentlich liberal eingestellt ist. Er behauptete, Herman habe – kurz gefasst – folgendes gesagt:
- Die Nazis haben die Familienwerte missbraucht und pervertiert
- Die 68er haben in der ansich berechtigten Aufarbeitung des Nazionalsozialismus nicht nur dessen pervertierte, sondern die Familienwerte insgesamt unter Ideologieverdacht gestellt und damit „abgeschafft“
- Ihr geht es darum, jene Familienwerte zu rekultivieren, die vor dem Nazionalsozialismus und ganz unabhängig vom Nazionalsozialismus bestanden haben und die zu unrecht von den 68er negiert wurden.
Das ist aber nun etwas ganz anderes als das, was Kerner ihr in der Sendung vorwarf. Er sprach von einem Nazi-Vergleich – das hier ist natürlich kein Nazi-Vergleich sondern einfach die Behauptung, dass die 68er in (durchaus nachvollziehbarem) Übereifer das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben. Dafür müsste Herman sich wirklich nicht entschuldigen, ganz im Gegenteil, alle anderen müssten sich für den Vorwurf entschuldigen!
Aber was hat sie denn nun wirklich gesagt? Ich entschloss mich also, am Tag nach der Sendung, die gesamte Sendung auf YouTube noch einmal anzuschauen, und zwar unter der Perspektive, dass mein Freund Recht hätte. Und siehe da: ich sah plötzlich eine ganz andere Sendung. Ich sah eine etwas hilflose aber gleichwohl sachlich argumentierende Eva Herman, die ganz exakt das von meinem Freund dargestellte Argument zu erläutern und zu vertreten versuchte, und eine Runde von hysterisch aufschreienden Gästen und Moderatoren, die offenbar überhaupt nicht verstanden, was sie sagten, und die schlicht auf den Gebrauch von Wörtern wie „Autobahn“ und „Gleichschaltung“ mit cerebralen Krampfanfällen reagierten, ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken.
Also was hatte Eva Herman nun wirklich gesagt? Hier das Orginalzitat (es ist ein mündlicher Vortrag in einer Presskonferenz):
Mit den 68er wurde damals praktisch alles das alles, was wir an Werten hatten, es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle, aber es ist damals eben auch das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben
Abgesehen von grammatischen und stilistischen Unreinheiten ist es doch genau das, was mein Freund oben zusammengefasst hat. Und nichts anderes! Und es ist auch bezeichnend, dass keiner der anwesenden Journalisten an diesen Äußerungen in der Pressekonferenz anstoß genommen hat. Erst 3 Tage später kam dieses Zitat, isoliert, ohne Kontext in die Medien und wurde von da ab offenbar konsequent missverstanden.
Ich war ziemlich sprachlos, als ich einsehen musste, dass ich mich von der Hysterie dieser Sendung habe anstecken lasse und, ohne eine vernünftige Urteilsgrundlage und offenbar ohne zuzuhören, was wirklich gesagt wurde, mir ein Urteil gebildet habe, in dem dasjenige, was Eva Herman gesagt und gemeint hat, ausschließlich durch das bestimmt war, was ihre Gesprächspartner ihr vorwarfen. Ich habe aus den Reaktionen der Gesprächspartner auf die Ansichten von Eva Herman geschlossen ohne ihre Äußerungen in ihrem sachlichen Gehalt auch nur wahrzunehmen. Erst beim zweiten Hören (und ich habe die Sendung dann noch einmal im Transkript durchgelesen) mit der ausdrücklichen Absicht, nur auf das zu hören, was Herman selbst sagt, wurde mir klar, dass ich einer fatalen Täuschung unterlegen bin.
Der Freund, er heißt Felix Hau, hat mittlerweile einen offenen Brief an Kerner geschrieben, in dem er auf dieses Missverständnis hinweist und es haben sich mittlerweile viele Menschen in Kommentaren, insbesondere im » Forum der Kerner-Redaktion zu diesem Eklat geäußert. Skandalös sind nicht die Äußerungen von Eva Herman, sondern die Massenhysterie, die in Deutschlend durch das völlig unbegründete Aufbringen eines Nazi-Verdachtes ausgelöst werden kann. Meine eigene Reaktion zeigt mir, wie tief dieses Reaktionsmuster sitzt!
Der Grund dafür ist die fehlende Normalität in unserer Geschichtsaufarbeitung und eine Übersensibilisierung für das Thema Nazionalsozialismus, die sich bereits in schieren Automatismen manifestiert. Genau dies war die eigentliche Forderung von Eva Herman: die Rückkehr zur Normalität bei der Diskussion und Bewertung von Werten, die schon lange vor den Nazis selbstverständlicher Teil der Kultur waren. Stattdessen suhlt sich die Bildungsschicht einer ganzen Nation in historisch-hysterischen Reflexen. Die Ignoranz, mit der fast die gesamte deutsche Presse weder in der Lage oder Willens ist, das Zitat inhaltlich-sachlich zu verstehen, noch den Argumenten in der Sendung unvoreingenommen zu folgen, sondern munter zur Hexenjagd bläst, lässt sich nur noch pathologisch beschreiben.
Mit Nazivorwürfen leichtfertig um sich zu werfen heißt, sie zu instrumentalisieren und zu entwerten. Es ist ein Höhepunkt an Heuchelei, wie sich hier Betroffenheit und Entrüstung an den eigenen Vorurteilen abarbeiten. Wer sich aus reiner Leseschwäche eine solche Vorverurteilung zusammen zimmert, die dann quotenträchtig und auf Kosten eines unschuldigen Opfers inszeniert wird, der vergreift sich auch an der deutschen Geschichte und ihren Opfern. Und dass fast die gesamte deutsche Presse dieses dümmliche Spiel mitspielt, ist tatsächlich ein Skandal!
Links zum Thema:
» Das inkriminierte Zitat (O-Ton auf YouTube)
» Analys des Zitates auf der Website von Eva Herman
» Der offene Brief von Felix Hau
» Das Kerner-Forum
» Die Kerner-Sendung auf YouTube
» Die Sendung als Transkript
» Die Website von Eva Herman