Wind of Change

Das vollmundige Wahlmotto von Obama ist längst zu einem verlegenen Hüsteln erstickt. Nicht nur die US-Regierung, der gesamte demokratische Westen steht dieser Tage wie paralysiert vor der Wucht des Freiheitskampfes in den arabischen Ländern und schafft es nicht, sich aus den scheinbaren Zwängen der vielen langjährig gehegten und gepflegten Arrangements mit Monarchen, Diktatoren und Wahnsinnigen zu befreien und Solidarität mit denjenigen zu zeigen, die für die existenziellste politische Idee kämpfen: für die Freiheit.

Als die USA in den Irak einmarschiert sind, hat sich die europäische Friedensbewegung auf die Seite eines mordenden Diktators geschlagen und sich darauf beschränkt, den USA unlautere Motive vorzuwerfen. Dass nicht nur der Schutz der Freiheit im eigenen Land, sondern auch die Befreiung der irakischen Bevölkerung von diesem Monster trotz all der diplomatischen und politischen Manipulationen die grundlegende Motivation für den Überfall des Iraks gewesen sein könnte, ignoriert der durchschnittliche Pazifist geflissentlich. Und auch jetzt, wo in der arabischen Welt das Volk auf der Straße ist und nach Freiheit ruft, ganz ohne vermeintlichen imperialistischen Zwang, schweigt das pazifistische Europa. Keine Solidaritätsbekundungen sind zu hören, kein Mitleid mit den unschuldigen Opfern. Wir haben vielmehr Zeit, uns über die fragwürdige Dissertation unseres Verteidigungsministers zu echauffieren.

Die linksintellektuelle Ideologie, die längst keine Opposition sondern politischer Mainstream ist, basiert auf dem Stellvertreterkampf gegen einen kapitalistischen Individualismus, der die unterdrückte Mehrheit bedroht. Früher war es das Proletariat und die Arbeiterklasse, die einem elitären akademischen Diskurs als Rechtfertigung für die sozialistische Ideologie diente, die selbst damit aber nie etwas anfangen konnte. Heute ist es der multikulturelle Hartz-4-Empfänger mit Migrationshintergrund. Und dem Pazifismus ist es der vom US-Imperialismus bedrohte Moslem, der von Armut und Unterdrückung zur Gewalt genötigt, seine vielleicht nicht ganz aufgeklärte aber umso kulturellere Kultur verteidigt, die immerhin noch „Werte“ besitzt. Bei ersterem fand sich in Thilo Sarrazin noch ein probates Feindbild, um die idologischen Gewohnheiten vor pragmatischer Vorurteilslosigkeit und klarem Durchblick zu schützen. Nun aber erhebt sich der kulturelle Moslem, der doch eigentlich seine Kultur so lieben soll, wir wir sie uns zurecht romantisiert haben, und ist plötzlich aufgeklärt, verlangt Demokratie, weiß wie man twittert und was Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Säkularität bedeutet, und fordert plötzlich jene Rechte ein, die wir für uns von Geburt an für selbstverständlich halten.

Und sie kämpfen für Freiheit, für jene Menschheitsidee, für die letztlich jede Revolution geführt wurde. Ob blutig oder nicht. Jene Idee, die nirgendwo so weitgehend verwirklicht ist, wie bei uns im Westen, und die nirgendwo so mit Füßen getreten wird, wie bei uns im Westen. Unsere in Regulierungswut, staatlicher Versorgung und bürokratischem Wahnsinn erstickende Gesellschaft betrachtet Freiheit mittlerweile als Bedrohung und so sind in Deutschland auch angesichts der historischen Ereignisse in den arabischen Ländern an aller erster Stelle Bedenken gegen die sich Bahn brechende Demokratie en vogue: ist ein so lange unterdrücktes Volk überhaupt zu Demokratie fähig? Passt das überhaupt in die dortige Kultur? Wie groß ist das Risiko? Als ob in Deutschland 1945 irgendetwas nach Demokratiefähigkeit ausgesehen hätte!

Die Stabilität einer Diktatur ist aus der Entfernung natürlich angenehmer als die Unberechenbarkeit der Freiheit. Unsere politische Führung möchte liebgewonnene Strukturen nicht verlieren und versteckt sich in ekelerregender Feigheit hinter diplomatischen Ausreden. Das ideologische Establishment befürchtet, fest installierte Feindbilder korrigieren zu müssen und die Gesellschaftsmehrheit befließigt sich derweil des kollektiven Dissertationslektorats und bedauert allenfalls, auf den geplanten Ägypten-Urlaub zu verzichten. Dabei müssten wir auf den Straßen tanzen und die arabischen Freunde in der freien Welt willkommen heißen, sie mit allen Mitteln unterstützen und nichts unversucht lassen, den einmal begonnen Kampf gegen ihre Unterdrücker zu einem der größten Siege der Geschichte zu machen. Auch wenn es uns ein Stück unserer Sahnetorte kostet. Denn endlich wird Wirklichkeit, wovon wir seit Jahrzehnten nicht zu träumen wagten, endlich zeigt sich der Schrecken des Islamismus als besiegbar, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit könnte die Welt mit dem Ende des kalten Krieges, mit der Integration Chinas in eine globalisierte Wirtschaft und dieser autogenen Befreiung der arabischen Welt aus der Diktatur des Islamismus zu einer Gemeinschaft finden, die einen globalen Frieden möglich erscheinen lässt! Unsere Pazifisten müssten längst Menschenketten von Gibraltar bis Istanbul und wieder zurück gebildet haben, um auf dieses Ereignis angemessen zu reagieren. Mit Kerzen und Gitarrenmusik.

Stattdessen herrscht Grabesstille. Nicht einmal in Worten zeigt der Westen Solidarität, sondern erliegt konzertiert einer historischen Lethargie und verschläft womöglich eine Wende, gegen die der Mauerfall eine Randerscheinung sein wird. Ganz sicher aber verpasst er eine Lektion in praktischer Politik. Er verpasst die sensationelle Chance, gleichsam am lebenden Beispiel daran erinnert zu werden, was nicht nur der Kern aller politischen Ideale, sondern das intrinsische Prinzip des Zusammenlebens und Handelns ist: Freiheit! Sie ist der Inbegriff menschlichen Daseins und nicht sie einzufordern, sondern sie dem Menschen gewaltsam zu entziehen, ist der Grund für explosive gesellschaftliche Zustände, für politische Degeneration und das Risiko blutiger Unruhen. Dass weichhirnige Diktatoren wie Gaddafi oder Mubarak dies nicht einsehen, ist vorhersehbar. Dass aber wir in der „freien Welt“ dies offenbar vergessen haben und uns diese ewig flammende Idee mittlerweile so unbequem erscheint, dass wir ihr ein auf Ruhe und materielle Güter zielendes politisches Kalkül vorziehen, ist an Erbärmlichkeit kaum noch zu übertreffen.

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