Untertitel als Grundversorgung

Ich muss mal wieder auf mein Lieblingsthema kommen: auf das „Informationsschreiben der GEZ und/oder Schreiben, mit dessen Hilfe der gesetzliche Auskunftsanspruch des § 4 Abs. 5 RGebStV geltend gemacht wird„. Ja, so heißt das. Nicht etwa nur „GEZ-Brief“.

Das Schriftdeutsche, als solche schon eine deutsche Einmaligkeit (es gibt kein Schriftenglisch oder Schriftitalienisch), entstand ursprünglich aus einer Behördensprache, die weit von den lebendigen Dialekten entfernt war. Erst viel später näherte sie sich an, wurde gleichsam verumgangssprachlicht. Allerdings weht der Behördengeist noch allenthalben in ihr. So ist es ein Zeitvertreib der Deutschen, für alle möglichen Dinge des Lebens, für die sie schöne und treffende Wörter haben, sich „offizielle“ Begriffe auszudenken: Amtliches Fernsprechbuch für das Telefonbuch, Postwertzeichen für die Briefmarke, Fahrtrichtungsanzeiger für Blinker. Schön ist auch, Polizisten im Fernsehen zuzuhören, wenn sie fast an ihren Sätzen ersticken, weil sie nicht einfach sagen können: „Der Golf fuhr beim Überholen auf den Traktor auf, weil der ohne zu blinken links in einen Feldweg einbog.“ sondern glauben sagen zu müssen „Das landwirtschaftliche Zugfahrzeug leitete ohne Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers einen Abbiegevorgang in einen linksseitig in die Straße mündenden land- und forstwirtschaftlichen Verkehrsweg ein und verursachte dadurch das Auffahren des sich in einem Überholvorgang befindlichen Kraftfahrzeugs der Marke Volkswagen.“ Dabei bricht meist unterwegs noch die Syntax zusammen und am Ende fehlt ein finites Verb, weil der Beamte mit seinem Satzungeheuer selbst überfordert ist. Aber er glaubt, nur so sei es wirklich genau und wirklich offiziell. Schließlich arbeitet er ja bei einer Behörde und was er sagt, muss Brief und Siegel haben! Auch wenn es in normalen Worten genauso klar und deutlich wäre, was passiert war, und darüber hinaus auch noch verständlich. Aber darauf kommt es in Deutschland nicht an.

Auch die GEZ ist so etwas wie eine Behörde. Allerdings gibt die sich nicht damit zufrieden, selbst Behördendeutsch zu pflegen, nein, sie reitet auf ihrem Amtsschimmel durchs Internet und versucht unbescholtene Herausgeber von Webseiten mit Strafen zu drohen falls diese sich nicht anschicken, statt verständlicher und allgemein gebräuchlicher Wörter an den Haaren herbeigezogene amtliche Ungetüme zu verwenden. Tatsächlich hat die GEZ vor einem Jahr das Webportal akademie.de abgemahnt, weil es gewagt hatte, „GEZ-Brief“ zu schreiben, statt des oben zitierten Amtsgeschwurbels. Das eigentliche Anliegen war natürlich, auf diese Weise Kritik an der GEZ und den Rundfunkgebühren zu unterbinden. Näheres dazu findet sich in dem u.a. Link!

Die Abmahnung ist mittlerweile offenbar vom Tisch und die GEZ musste sich damit arrangieren, dass die Sprecher der Deutschen Sprache selbst entscheiden, wie sie sprechen und sich das nicht von einem staatlichen Zwangsabgaben-Inkassobetrieb vorschreiben lassen. Mir kommt es bisweilen so vor, als sei die GEZ nur ein Experiment, um herauszubekommen, wie man eine Behörde errichtet, die es schafft, über alle Vorbehalte hinaus, die Behörden in der Bevölkerung ohnehin schon genießen, sich so richtig unbeliebt zu machen und das Image einer regelrechten Landplage zu entwickeln.

Aber das war ja nur ein Fundstück auf meiner abendlichen Suche nach Informationen über Untertitel und die juristischen Details zur sog. Grundversorgung der Medienanstalten. Denn heute habe ich in der Fußgängerzone an einer Unterschriftenaktion von Gehörlosen teilgenommen (s. Links), die mehr Untertitel in Fernsehsendungen fordern. Um genau zu sein fordern sie, was in anderen Ländern schon Alltag ist, nämlich Untertitel für ALLE Sendungen. Zuerst dachte ich: schön, wieder jemand, der nicht begriffen hat, dass man in der Marktwirtschaft Waren und Leistungen nicht <em>fordert</em> sondern <em>nachfragt</em> und dass sie nicht per Dekret sondern als Angebot bereitgestellt werden. Aber hoppla! War da nicht was? Wir leben kulturell und medial ja gar nicht in einer Marktwirtschaft sondern im Staatsfeudalismus. Und da sind Untertitel ganz klar eine Aufgabe staatlich-solidarischer Grundversorgung! Also hurtig unterschrieben, damit unsere GEZ-Gelder (vorsicht Abmahnung!) in Zukunft für Untertitel ausgegeben werden und nicht mehr nur für schlecht gemachte Reality-Soaps und Casting-Shows von den Privaten, die in den Öffentlich-Rechtlichen noch schlechter nachgemacht werden oder für die Live-Übertragung von Hochzeiten fremdländischer Monarchien, die allerdings auch schon auf drei anderen Kanälen live übertragen werden.

Denn 100% Untertitel für Gehörlose wären tatsächlich mal etwas, das den Namen solidarische Grundversorgung verdienen würde. Ich frage mich auch, ob die Gehörlosen statt einer Unterschriftenaktion nicht lieber eine Klage einreichen und sich ihre Grundversorgung vor Gericht erstreiten sollten, in dem Stil wie das auch die GEZ mit den dafür zu verwendenden Worten macht. Aber wahrscheinlich ist „Grundversorgung“ auch nur wieder einer dieser Amtseuphemismen, der gar nichts mit dem zu tun hat, was wir normalsprachlichen Bürger darunter verstehen…

Links:

Die Aktion Recht auf 100 Prozent Untertitel!

Wie die GEZ versucht, die deutsche Sprache zu zensieren:
http://www.akademie.de/private-finanzen/gez-und-rundfunkgebuehren/tipps/gez_gebuehren/gez-abmahnung.html

Mehr zur Deutschen Sprachgeschichte:
http://www.rhetorik-netz.de/rhetorik/deutsch.htm
„Beamtendeutsch“ auf Wikipedia

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